"Das Geheimnis von Wadō‑Ryū Jūjutsu Karate‑Dō ist, nach dem Geheimnis zu suchen."
Wadō‑Ryū (japanisch 和道流) ist heute eine Stilrichtung des Karate und wurde von Prof. Hironori Ōtsuka gegründet. Wadō kann mit "Weg des Frieden" oder "Weg der Harmonie" übersetzt werden und Ryū bedeutet "Schule" oder "Strömung". Das verwendete Kanji Wa (japanisch 和) bedeutet auch "Japan" und soll damit den Einfluss des japanischen Jiu Jiutsu im Wadō‑Ryū herausstellen. Somit ist im Wadō‑Ryū der japanische Weg "Do" (japanisch 道) gemeint.
Dadurch unterscheidet sich Wadō‑Ryū deutlich zu den aus Okinawa stammenden Karatestilrichtungen und gilt heute als die einzige in Japan entstandene Karatestilrichtung. Wadō‑Ryū Jūjutsu Karate‑Dō wurde 1934 gegründet und 1939 als eigenständige Karatestilrichtung in der Dai Nippon Butokukai eingetragen.
Wadō‑Ryū Jūjutsu Karate‑Dō stellt eine Kombination aus unterschiedlichen Budō-Künsten dar und besteht aus dem von Okinawa stammenden Karate To'de, Shurite sowie Nahate, aus dem Yagyu Shinkage-Ryu Kenjutsu, einer traditionellen japanischen Schwertschule, und überwiegend aus dem Takamura Ha Shindo Yoshin Ryu, einer alten japanischen Jiu Jiutsu Kampfkunst aus dem 18. Jahrhundert. Das Wadō‑Ryū umfasst daher Elemente aus dem Jiu Jiutsu wie Hebel, Würgetechniken, Würfe, Fallschule und Bodenkampf sowie Techniken aus dem Karate wie Blocks, Fußtritte, Faustschläge und -stöße. Als Waffe wird dabei der gesamte Körper verstanden und eingesetzt. Die Prinzipien aus dem Schwertkampf runden das System des Wadō‑Ryū Jūjutsu Karate‑Dō ab.
Hironori Ōtsuka Sensei hatte seine eigene Vorstellung von Kampfkunst. In seinem Stil, dem Wadō‑Ryū beseitigte er in erster Linie alle weit ausholenden Bewegungen, verkürzte die Stände und veränderte alle Techniken, die mit einem großen Aufwand an Energie verbunden waren. Alle Techniken wandelte er in Bewegungsformen um, in denen größtmögliche Ökonomie möglich ist, um maximale Wirksamkeit zu erreichen. Sensei Ōtsuka studierte viele unterschiedliche Menschen und deren Bewegungsbilder um dabei die Verbindung zwischen Vernunft und Wirksamkeit festzustellen. Entsprechend diesem Prinzip wird im Wadō‑Ryū Jūjutsu der Hauptakzent auf die natürliche Bewegung aus dem Körperzentrum gelegt. Das Resultat dieser Überlegung ist eine Kampfkunst, die viele verschiedene Formen des Ausweichens (Tai Sabaki) enthält.
Darüber hinaus werden die Bewegungen im Wadō‑Ryū wesentlich enger, entspannter und strukturierter geführt als dies in anderen Karate-Stilen der Fall ist. Das Ausweichen und direkte Kontern der gegnerischen Attacke wird in den Vordergrund gestellt. Ein reiner Block wird als zeitverschwendung angesehen und soll vermieden werden. Es gilt grundsätzlich Angriff ist Verteidigung und Verteidigung ist Angriff. Wer Zeit zum Blocken hat, hat auch Zeit zum Angreifen. Ein Wadō‑Ryū Jūjutsu Karateka blockt nicht, er verteidigt.
Deshalb liegen dem Wadō‑Ryū Jūjutsu Karate‑Dō Bewegungsprinzipien wie Ausweichen, Eindringen und Mitführen der gegnerischen Technik, die Kontrolle des Angreifers und dessen Schwerpunkt, sowie fließende Übergänge zwischen den einzelnen Techniken zugrunde. Die Kampfführung und Technikausführung erfolgt rationell, das heißt, keine überflüssige Technik, Bewegung und kein überflüssiger Kraftaufwand. Es wird größtmögliche Mobilität angestrebt, was mit einer ständigen Kontrolle des eigenen Körperschwerpunktes, der Körperachse und der Stellungen erreicht wird. Dadurch ist es möglich, mit Angriffe aus allen Richtungen zu interagieren. Abwehr, Angriff und Positionsveränderungen erfolgen gleichzeitig in einer flüssigen und strukturierten Bewegung, damit kein Zeitverlust eintritt. Die Angriffe werden dabei immer gegen vitale Punkte des Angreifers gerichtet.
Im Wadō‑Ryū Jūjutsu Karate‑Dō stellt TAI SABAKI (japanisch 体捌き, "Verlassen der Angriffslinie"), das Ausweichen ein elementares Prinzip dar. Die Ausweichbewegung wird von einem präzisen Atemi (Schlag) auf einen Kyusho (vitaler Punkt) begleitet und schließt häufig mit Nage Waza (einem Wurf) ab. Dabei unterscheidet man innerhalb des Stils zwischen drei grundsätzlichen Regeln beim Ausweichen.
Hironori Ōtsuka wurde am 01. Juni 1892 in Shimodate (Japan) als ältester Sohn von Ōtsuka Tokujirō geboren. Er ist der Begründer der Karate-Stilrichtung Wadō‑Ryū. Mit fünf Jahren begann er mit dem Ju-Jutsu Training. Mit 13 Jahren hat er unter Nakayama Tatsusaburō mit dem Training von Shindō Yōshin-Ryū Jūjutsu (神道揚心流) begonnen. Ab 1922 begann Hironori Ōtsuka mit dem Karate-Training bei Gichin Funakoshi. Parallel praktizierte er weiterhin Shindo Yoshin-Ryu Jūjutsu und erhielt im Alter von 29 Jahren das Diplom Menkyo Kaiden Shihan von Nakayama. Ab 1936 übernahm er die führende Lehrtätigkeit beim Karate-Club der Universität von Tokio.
Zu dieser Zeit entwickelte er seinen eigenen Karate-Stil Wadō‑Ryū. Sensei Ōtsuka lernte auch unter Mabuni Sensei und Motobu Sensei, die sein Verständnis für Karate vertieften. Dabei lernte er zwei weitere Richtungen von Okinawa-Karate kennen, Shurite und Nahate. Hironori Ōtsuka war ebenfalls ein Meister der Schwertkampfkunst, Yagyu Shinkage-Ryu Kenjutsu. Die Kombination des starken Okinawa-Karate, die soliden kämpferischen Fähigkeiten des Jūjutsu sowie Prinzipien aus dem Kenjutsu brachten das Wadō‑Ryū Jūjutsu Karate hervor. 1934 wurde Wadō‑Ryū Jūjutsu Karate eine offizielle Kampfkunst und sein Sohn, (Jiro) Ōtsuka II wurde geboren. Am 01. April 1939 wurde Wadō‑Ryū Jūjutsu Karate bei der Dainippon Butokukai eingetragen.
Im Jahr 1981 trat Sensei Ōtsuka als Großmeister zurück und ernannte seinen Sohn Jiro zu seinem Nachfolger. Ōtsuka II verließ im selben Jahr Wadokai und gründete Wadō‑Ryū Renmei. Am 29. Januar 1982 verstarb im Alter von 89 Jahren Hironori Ōtsuka. Überraschend verstarb Jiro Ōtsuka II am 26.06.2015. Im Rahmen einer Zeremonie in Tokyo wurde am 28.08.2015 der Sohn von Jiro Ōtsuka II, Sensei Kazutaka Ōtsuka III zum 3. Großmeister (Soke) des Wadō‑Ryū Jūjutsu Karate‑Dō ernannt. Bis heute gilt Wadō‑Ryū Renmei als direkte Strömung für authentisches Wadō‑Ryū Jūjutsu Karate‑Dō.
1964 ließen sich Sensei Suzuki Tatsuo und Sensei Masafumi Shiomitsu in England nieder, um Wadō‑Ryū Jūjutsu Karate‑Dō in Europa zu unterrichten. Shiomitsu Sensei gründete in den 1980er Jahren die Wadō‑Ryū Jūjutsu Karate‑Dō Academy, welche in Europa die einzige anerkannte Wadō‑Ryū Renmei Organisation von Ōtsuka Soke ist. Die Wadō‑Ryū Karate‑Dō Academy unterrichtet somit die korrekten und authentischen Techniken sowie den wahren Spirit von Wadō‑Ryū Jūjutsu Karate‑Dō. Sensei Masafumi Shiomitsu besitzt heute den 9. Dan Wadō‑Ryū Jūjutsu Karate‑Dō Renmei und leitet die Organisation mit seinen Schülern Sensei Arthur Meek 8. Dan Wadō‑Ryū Jūjutsu Karate‑Dō Renmei, Sensei Peter Hill 7. Dan Wadō‑Ryū Jūjutsu Karate‑Dō Renmei und Sensei Hieu-Minh Tran 7. Dan Wadō‑Ryū Jūjutsu Karate‑Dō Renmei.
Hironori Ōtsuka besitzt den 10. Dan im Wadō‑Ryū Jūjutsu Karate‑Dō und ist der erste Karateka, dem der Ehrentitel Meijin (1972) verliehen wurde.
Als Dōjō (japansich 道場, "Ort des Weges") wird der Übungsraum für japanische Kampfkünste (Budō) bezeichnet. Im übertragenen Sinn steht der Begriff für die Gemeinschaft der dort Übenden. Da die Gruppe einen höheren Wert darstellt als der Einzelne, gibt es einfache Verhaltensregeln, die einen harmonischen Umgang miteinander fördern sollen - die Dōjōkun.
Die darin enthaltene Etikette ist von einem Karateka immer einzuhalten. Denn viel wichtiger als das räumliche Dōjō ist das Dōjō, das sich der Schüler in seinem Herzen errichtet. Die Dōjōkun beinhaltet fünf Leitsätze, welche alle mit dem Wort HITOTSU eingeleitet werden. HITOTSU bedeutet "eins" oder "Erstens" und verweist darauf, das jede Regel gleichberechtigt neben den anderen steht und alle von gleicher Wichtigkeit sind. Wer die Dōjō-Etikette nicht befolgen kann, ist in einem Dōjō weder als Schüler noch als Besucher willkommen.
Wadō‑Ryū Jūjutsu Karate‑Dō ist Budō (japanisch 武道, "Kriegsweg"). Budō übersetzt bedeutet so viel wie "Der Weg des Kriegers" und verfolgt die Idee das man sich selbst durch das Erlernen einer Kampfkunst verwirklicht. Budō entspringt aus dem ernsten Hintergrund des Bujutsu, dem reinen Kriegshandwerk, ist aber deutlich mehr als das reine Töten und Besiegen des Feindes durch überlegende Technik. Budō als Lebensweg soll den Übenden über die Beschäftigung mit dem Kampf um Leben und Tod, zum inneren Frieden und höheren menschlichen Idealen führen.
Deshalb ist Budō mit größter Ernsthaftigkeit zu betreiben, auch wenn dieser Weg letztlich andere Ziele und Werte verfolgt als sein Ursprung, die reine Kriegsführung. Dennoch steht die Fähigkeit des Kämpfens und Tötens im Mittelpunkt. Daraus ergibt sich die Frage von Leben und Tod und ist nach wie vor der zentrale Hintergrund der Kampfkunst. Der Budō grenzt Kampfkunst von Kampfsport grundlegend ab und stellt mehr dar als eine reine Ästhetik in der Bewegung. Es ist die geistige Haltung in der Form, die den Unterschied deutlich macht.
Der wichtigste Aspekt liegt im "Do", dem lebenslangen Lernen. Der größte Kampf wird gegen sich selbst geführt, gegen das eigene Ego und das Überwinden der eigenen Unzulänglichkeiten. Wenn das eigene Ego überwunden wurde, besteht keine Notwendigkeit mehr im Außen zu kämpfen und nach Konkurrenz zu suchen. Dieser Zustand wird durch den Namen Wadō‑Ryū, "Weg der Harmonie" klar herausgestellt. Das Ziel des Budō, des Zendo und des Chado sind nicht verschieden. Alle Übungen sollen uns zu einer tieferen Erfahrung unserer Existenz führen und sich im Alltag und unserem Verhalten widerspiegeln. Kampfkunst und Zen sind Eins.
Die 7 Tugenden des Budō sind ein Kodex moralischer Grundsätze, die im alten Japan insbesondere von den Samurai gelebt wurden. Für uns verdeutlichen sie die Wertigkeit japanischer Kultur und Geschichte in der Ausübung unserer Kampfkunst. Daneben stellen sie universelle Werte dar, welche in unserer Zeit und Gesellschaft genauso Bedeutung und Gültigkeit für den Einzelnen als moralische Leitlinien haben wie damals.
Kihon ist die Basis im Wadō‑Ryū Jūjutsu Karate‑Dō. Damit sind alle Kihon Waza (japanisch 基本技, "Grundtechniken") gemeint, wie Stellungen, Schlag- und Tritttechniken, als auch Wurf- und Bodentechniken. Im Wadō‑Ryū wird mit dem Kihon die Grundlage geschaffen, später im Kumite (japanisch 組手, "Begegnung der Hände") erfolgreich zu sein. Durch vielfache Wiederholungen und ständiges Üben werden die Grundtechniken in das Muskelgedächtnis übernommen und dann in der Kata zu komplexeren Kombinationen zusammengefügt.
Im Wadō‑Ryū Jūjutsu Karate‑Dō gibt es unterschiedliche Übungsformen, um die Prinzipien sowie die Kampftaktiken zu erlernen. Eine der wichtigsten und ältesten ist die Kata. Eine Kata ist ein imaginärer Kampf gegen einen oder mehrere Gegner, der einem festgelegten Muster im Raum, der Embusen (japanisch 演武線, "Grundlinien"), folgt.
Beim Studium der Wadō‑Ryū Kata bedient man sich dem Konzept der Kaisetsu (japanisch 解説, "Erklärung", "Interpretation"). Das Kaisetsu offenbart eine Kata und überführt sie in die Anwendung. Ohne Kaisetsu lehrt eine Kata die offensichtlichen Techniken, enthaltene Prinzipien, korrekte Atmung und eine kämpferische jedoch beherrschte Mentalität.
Eng verwandt mit der Kata ist das Renzoku Waza (japanisch 連続技, "Kombination", "Ununterbrochen"). Hierbei werden mehrere Techniken frei aneinander gereiht und als eine Kombination ausgeführt. Dabei wird großer Wert auf einen gleichmäßigen, unaufhaltsamen Fluss gelegt. Das Renzoku Waza lehrt und vertieft Prinzipien des Wadō‑Ryū und dient als Hilfsmittel auf dem Weg von der Kata zum Kumite.
Im Wadō‑Ryū wurden die alten Namen der Katas unverändert beibehalten. Es werden insgesamt 16 Katas gelehrt, wobei Hironori Otsuka 1940 bei der Dainippon Butokukai lediglich 9 Katas eintragen ließ. Um die Prinzipien des Wadō‑Ryū Karate‑Dō zu lernen, sind diese 9 Katas ausreichend. Besonders hervorzuheben ist, das jede Kata mit einer defensiven Technik beginnt. Symbolisch zeigt dies die geistige Haltung des Wadō‑Ryū Jūjutsu Karate‑Dō auf, "Es gibt keinen Erstschlag, weder mental noch körperlich" und "Die Kampfkunst wird ausschließlich zur Selbstverteidigung eingesetzt".
Das Kumite bzw. die Kumiteformen bezeichnen ein mehrstufiges System um den Übenden an das Ji Yu Kumite (japanisch 自由組手, "Freier Kampf") schrittweise heranzuführen. Damit die Prinzipien und Taktiken für einen freien Kampf sicher geübt werden können, werden Yakusoku Kumite (japanisch 約束組手, "Abgesprochenes Kämpfen", "Versprochener Kampf") praktiziert.
Das Kumite stellt innerhalb des Trainings eine Form dar, durch ausreichendes Üben die Fähigkeiten zu erlangen, sich in ernsten Situationen angemessen verteidigen zu können. Voraussetzung ist das intensive Einüben und Verstehen von Kihon und Kata. Wenn die Ausführung der Grundform verstanden ist, kann sie im Kumite angewendet werden. Heutzutage versteht man hierunter die verhältnismäßige Selbstverteidigung, wobei Budō nicht nur den körperlichen, sondern auch den mentalen Angriff berücksichtigt.